Original von Markus
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Und mal ernst, wieviel "Privatkopien" habt ihr zu Hause rumliegen?
keine
Und wieviel CDs lassen sich bei euch durch irgendwelche CD-Player nicht abspielen?
Zugegeben: keine, nichtmal die, die angeblich einen Kopierschutz haben.
Und dann vergleicht mal: Wieviel mp3s habt ihr von kommerziellen Liedern, von denen ihr nicht die original CD habt?
keine
Und gehen wir mal weiter:
Wieviele gebrannte Spiele liegen zu Hause rum?
keine
Wieviele gecrackte Programme sind auf dem PC?
keins, wer Linux einsetzt, hat sowas nicht nötig
Wieviele Serials habt ihr schon Bekannten oder aus dem Netz?
keine (wozu auch?)
Da kann ich auch verstehen, dass man etwas dagegen unternehmen will. Sicherlich kann man sich über Art und Härte streiten. Aber Grundsätzlich sollte man sich nicht wundern....
OK, mal genug der Selbstbeweihräucherung meinerseits. Ich gebe zu, dass ich früher auch kein "Waisenknabe" war, aber im Alter entwickelt man vielleicht so etwas wie Qualitätsbewusstsein.
Und hiermit sind wir wieder beim Punkt: Ich kann mich nur zu gut an die 80er erinnern, als die Musikindustrie alles tat (und das auch durchaus propagierte), um Musik den Stellenwert eines Massenverbrauchsartikels zu geben. Genau, das muss man sich mal klarmachen: Musik soll verbrauchbar sein, damit die Leute gezwungen sind, sie ständig nachzukaufen. Wie kann man ein solches Ziel erreichen? Indem man Musik in etwas Ähnliches wie fettige Pommes (oder Chips) verwandelt: Eine Geschmacksexplosion beim ersten Probieren, die sich im Mund schnell in eine Art zellulosiges Pappmache verwandelt. Man kaut etwas darauf herum (nur so aus Omnivorentradition, eigentlich könnte man den Brei ja auch so verschlingen) und sehnt sich die initiale Aromasensation zurück. Also schnell den nächsten Kartoffelzombie nachgeschoben. Praktisch, wenn es das Zeug in der 10kg-Waschmitteltonne gibt, schön dass es auch nur 40 Cent pro Kilo kostet. Mehr hätte man auch nicht guten Gewissens dafür bezahlt.
Ups, was ich gerade beschrieben habe, ist ja eine perfekte Analogie zum zeitgenössischen Musikbetrieb! Letzte Woche wurde ich mit dem neuen "Song" von Frau Spears kontaminiert. Passenderweise heißt das Ding "Toxic". Na ja, denke ich so, das klingt ja nett. Irgendwie so nach Madonna, nur hipper. Wie Justin Timberlake, nur das anscheinend 'ne Frau singt, oder so Geräusche macht. Ein bisschen wie Kraftwerk und der Michael Jackson der früher 90er. Lustige Elektrogimmicks, die ich noch aus alten Songs von Tangerine Dream oder auch Rob Hubbard kenne. Dazu hüpft Frau Spears ständig durch irgendwelche Flugzeuge. Hmm, zieht man sich so heutzutage an? Und was soll die schwarze Perücke, will sie nicht erkannt werden? Nach ca. einer Minute überkommt mich eine gewisse Übersättigung, etwa als hätte ich die halbe Tonne auf einmal leergegessen. Dann ist das Video durchgestanden, hat auch gereicht, das klassische 3-Min-Popsongformat hat schon seine Gründe.
Zwei Tage später stehe ich im Supermarkt vor dem Waschmittelregal, als mir von hinten Musik in den Nacken tropft. Hmm, kommt mir bekannt vor. Richtig Frau Toxic. Schon leicht angeekelt harre ich dem Ende der Einspielung, sehne eine Durchsage ("Frau Siemers, die Drei!") herbei, die den Nintendo-Alarm-Brei unterbrechen möge. Wäre die Durchsage auf Englisch - oder meinetwegen Mandarin - würde sie in dem abgehackten Vier-Viertel-Interruptus vermutlich kaum auffallen. Ja, die Musikindustrie hat ihr Ziel erreicht, denke ich während Britney Aguilera weiter ihre fettige Pommesmusik über mir ablädt. Konsummusik quer durch den Garten, und das beschränkt sich nicht auf die genannten Damen und Herren der "Pop"-Fraktion. Evanescence - als Grufties verkleidete Abba-Wiedergänger. The Rasmus - Fury in the Slaughterhouse trifft Tim Burtons Imageberater. Oh, Hip-Hop! Wenn man heute MTV einschaltet, wünscht man sich, Run DMC wären in Würde gealtert. "Zieht eure Klamotten aus!" fordert Herr Nelly (mit etwas hysterisch überschlagender Stimme). Metallica belästigen uns mit Rondo-Veneziano-Anwandlungen und malträtieren leere Farbeimer (dilletantischer, als Blixa Bargeld das je erträumt hätte). Ich schlurfe zur Supermarktkasse, während sich der Klangbrei in meinem Hirn sammelt, wie der salzige Kartoffelmtsch in meinem Magen. Melodiefragmente befallen mich erneut auf dem Heimweg, zuhause angekommen spüre ich das Verlangen, die Spülmaschine einzuschalten, um ihrem angenehm unmelodischen Klang zu lauschen. unchromatisches Chaos, in seiner Scheinstruktur radikaler als jede 12-Ton-Komposition überdeckt angenehm die sich windenden Tonwürmer der Giftfrau. Nochmal entkommen.
Ja, ich bin Schuld, dass es der Musikindustrie schlecht geht. Weil ich in den letzten 10 Jahren etwas 10 CDs gekauft habe, und das nicht etwa, weil ich mir die ganzen schönen Superhits aus dem bösen Internet gesaugt habe, sondern weil ich den ganzen akustischen Klärschlamm kaum noch ertrage. Geh ein, Musikindustrie, stirb! Stirb! Dann bekommen wir vielleicht unsere Musik zurück!